Der nachfolgende Text diente als Vorlage für eine Präsentation, die von Mitgliedern des Texterverbandes besucht wurde. Sie sollte Texterinnen und Textern helfen, ihre Kreationen übersetzbarer zu machen.

Schweiz. Texterverband (vormals) Workshop 6 - Handout

Après moi...

Was zu beachten ist, wenn ein Text in eine Fremdsprache übersetzt oder adaptiert werden soll.

Wie heisst es richtig?

Adaptation:

a) Anpassungsvermögen; b) Anpassung (z.B. von Organen) an die Gegebenheiten, Umstände, an die Umwelt. [Duden Band 5]

Adaption:

a) Umformung eines Textes in eine andere Gattungsform (Stilkunde); b) Übersetzung durch eine ähnliche Situation, weil die gleiche in der Zielsprache nicht üblich ist. [Duden Band 5]

Unvermeidlich: Regeln.

Regel 1:

Schon beim Schreiben an die (ausländische) Zielgruppe denken. Was darf man voraussetzen (-> Pragmatik)? Was interessiert? Was ist relevant?

Regel 2 (war 1995 noch gültig):

Dem Übersetzungsvorgang in der Planung Zeit einräumen. (Tip: Für Fr. 300 gibt's schon saugute Modems komplett mit Software. Das spart einen PTT-Tag, der gut und gern mal 72 Stunden dauern kann.)

Regel 3:

Mit dem Übersetzer schon vor der Auftragserteilung Kontakt pflegen, früher zum gleichen Thema bereits übersetzte Dokumente (Fachausdrücke, Namen von Unternehmensbereichen, Titel und Funktionsbezeichnungen usw.) sowie Bilder und Zeichnungen mitliefern.

Regel 4:

Die Übersetzung lektorieren lassen; der Lektor soll mit dem Übersetzer Kontakt haben und Meinungsverschiedenheiten mit ihm klären.

Einige Gedankenstützen.

Althergebrachtes:

In den USA kommt der Samichlaus nicht am 6. Dezember, sondern nachts am 24. Dezember vom Dach durchs Cheminée ins Haus. In Amerika wird in der Schule gelehrt, dass es sieben Kontinente gibt. Ein Amerikaner weiss nicht, was ein Einzahlungsschein ist. Der Benzinverbrauch wird in den USA nicht in Litern pro 100 km gemessen, sondern in Meilen pro Gallone. Amerikanische Ringbücher haben drei Ringe.

Berühmtheiten:

"Wie Thomas Gottschalk unlängst sagte..." – In der Schweiz weiss kaum jemand, wer Rush Limbaugh ist. Macht auch nichts, obwohl die konservativen Amerikaner wie TV-Kletten an seinen Lippen hängen.

Bildlegenden:

Wer nicht vom "Neger vor Hütte"-Virus befallen ist, tut gut daran, dem Übersetzer die Bilder zu den Legenden mitzuliefern – oder wenigstens genau zu beschreiben.

Bildwelten:

In den USA wird Glace in der Regel in runden, nicht rechteckigen, Behältern verkauft. Steckdosen haben dort zwei Schlitze und ein Loch. Männer tragen bei Hochzeiten graue Fräcke. Abermillionen von Amerikanern trinken zum Abendessen Kaffee.

Datum & Zeit:

Für den Amerikaner bedeutet 3.9.95 allenfalls der 9. März 1995. Die in den USA übliche Schreibweise ist 9/3/95 (Monat/Tag/Jahr). Die Engländer haben mit unserer Schreibweise keine Probleme. Der Amerikaner versteht 5:15 pm besser als 17.15 Uhr.

Empfindlichkeiten:

Die Angelsachsen gehen in ihrer Begriffs- und Bildwelt z.B. mit dem Thema Körperpflege ganz anders (prüder) um als wir in Europa. Hier ist Sorgfalt geboten. Die WCs heissen in den USA entweder "bathrooms" (Badezimmer) oder "rest rooms" (Ruheräume) und für Frauen vielerorts noch "powder rooms" (gleich doof wie "ich muss mal schnell für kleine Mädchen", aber durchaus noch geläufig). Behinderte sind in den USA "physically challenged" (physisch herausgefordert); der Begriff "handicapped" ist im Zeitalter der Political Correctness leicht verpönt. Das legt sich wohl wieder. Während bei uns aus Negern Schwarze geworden sind, entwickelte sich der Negro zum Colored, dann zum Black und schliesslich zum Afro-American. Allerdings würde sich Colin Powell wohl kaum als Afro-American bezeichnen. Es mutet schon seltsam an: der weisse Stadtpräsident Josef Estermann... (es gibt ja genügend Adjektive).

Firmen:

Die Firma "Fracht AG" kann nicht einfach in "Freight Ltd." übersetzt werden. Massgebend ist die Eintragung im Handelsregister. "Baumann Electronic" ist ein Unsinn, weil "electronic" ein Adjektiv ist. Das Substantiv heisst "Electronics" und ist singular.

Interpunktion:

Punkte und Kommas werden in den USA immer innerhalb des Schlusszeichens einer direkten Rede oder Hervorhebung gesetzt. Die britische Regel dazu lautet: Der Punkt wird vor dem Schlusszeichen gesetzt, wenn damit nur die direkte Rede abgeschlossen wird, und nach dem Schlusszeichen, wenn damit der ganze Satz abgeschlossen wird.

Marken:

Die Taxcard gehört von der Namensgebung her zu den grössten Fehlgriffen der PTT. "Tax" bedeutet im Englischen Steuer. Überall sonst auf der Welt heissen die Dinger PhoneCard oder ähnlich. Bei der Entwicklung einer Markenbezeichnung eine Fachkraft hinzuziehen. In den USA gibt es eine Firma, die "Totes" heisst (zu deutsch: tragbare [im Sinne von handlich] Sachen). Sie stellt unter anderem Regenschirme her und tritt anscheinend in Deutschland allen Warnungen der Übersetzer zum Trotz mit dieser Markenbezeichnung auf.

Masseinheiten:

Die Engländer tun sich schwer mit der Metrifizierung und in einigen Regionen Frankreichs ist der ancien franc immer noch nicht ausgestorben. Dennoch: metrische Masse sind prinzipiell de rigueur (allenfalls mit Äquivalenten in Klammern). Ausnahmen sind: gewisse Masseinheiten bei Kochrezepten, Schuhgrössen und Kragenweiten (auch im übertragenen Sinn), Temperaturen (Ofen auf 350° F vorheizen, Wasser gefriert bei +32° und kocht bei +212°), Höhenangaben (von Bergen und Menschen häufig noch in Fuss), Leistungswerte (PS statt kW, Kalorien statt Joule) u.v.a.m.

Namen:

Die Unterschrift "P. Huber" auf einem Brief gilt als Affront. Der Leser will wissen, ob es sich um eine Petra oder einen Peter handelt. Das Ausschreiben von Vornamen würde auch uns gut anstehen. Vornamen dem Übersetzer liefern, auch wenn sie im deutschen Text unterschlagen werden.

Neger-Englisch:

Ich entschuldige mich für diesen Ausdruck, aber er trifft den Nagel auf den Kopf. Es gibt Kunden, die sagen folgendes: "Schreiben Sie mir eine Broschüre zum Thema XYZ, aber es darf sprachlich nicht zu hochstehend sein – wissen Sie, auch unsere Kunden in Nigeria und Saudi Arabien müssen den Text verstehen können." In Nigeria ist die Landessprache Englisch. Wer in Saudi Arabien Geschäfte macht, hat nicht selten an der Harvard-Universität oder in Oxford studiert und kann den meisten Schweizern punkto Englisch mehr als das Wasser reichen. Fazit: Es ist für die "Neger" erniedrigend, Primarschulenglisch zu lesen, nur weil der Schweizer mit seiner Zeigbuchmentalität Angst hat, er bliebe sonst unverstanden.

Pragmatik:

Hier: das, was man beim Leser eines Textes als bekannt voraussetzen kann.

Pragmatik 1:

"Wie sattsam bekannt ist..." – Für den Leser des übersetzten Textes ist es vielleicht nicht einmal hinlänglich, geschweige denn sattsam, bekannt.

Pragmatik 2:

"Landesweit gehören wir zu den grössten Anbietern..." – Im übersetzten Text könnte "landesweit" falsch aufgefasst werden.

Pragmatik 3:

"Alle Zimmer mit Bad und WC" (in einem 5-Stern-Hotel) – das ist blanker Unsinn, und wer es übersetzt, soll sich schämen. Wer es schreibt, auch. Ein Hotelzugbetreiber betont sogar: "Jedes Abteil verfügt über eine Waschgelegenheit mit sauberem Wasser...".

Pragmatik 4:

"Südlich der Leventina, ennet dem Bodensee, im Dreiländereck, die Goldküste Zürichs" – solche Hinweise sind in der Fremdsprache meist erklärungsbedürftig.

Problemfälle:

Gerichtsstand ist Zürich, 2 Jahre Garantie, Gratis-Videokassette, Service-Monteur auf Abruf, Einbau inbegriffen, bei Nichtgefallen Geld zurück, mit beiliegendem Einzahlungsschein, erhältlich bei den üblichen Vorverkaufsstellen, zuzüglich MWst, passt in jede Steckdose, handelsüblich, mit 80 Rappen frankieren, per Nachname, u.v.a.m.

Response 1:

"Rufen Sie einfach an! Wir sind immer für Sie da." – Wer so etwas schreibt, sollte sich vergewissern, dass es auch nach dem Übersetzen noch stimmt. Ist unter der angegebenen Nummer jemand erreichbar, der die Fremdsprache beherrscht? Wurde die Zeitverschiebung (z.B. gegenüber den USA) berücksichtigt?

Response 2:

"Verlangen Sie unseren Katalog!" – Hat das einen Sinn, wenn er in der Fremdsprache nicht vorliegt?

Response 3:

"Die Geschäftsantwortkarte einfach in den nächsten Briefkasten werfen und schon sind Sie dabei!" – Im Ausland kann das in die Hosen gehen.

Response 4:

"Rufen Sie unsere Gratisnummer 155 1010 an!" – Geht das auch in Hongkong?

Slogans:

Sie gehören mit den Payoffs und Claims zu den schwierigsten Herausforderungen für den Übersetzer. Wer lange nachdenkt und schliesslich nach 2 Wochen einen blitzgescheiten Claim findet, kann vom Übersetzer nicht erwarten, dass dieselbe Arbeit in der Fremdsprache nur 10 Minuten dauert.

Software:

Software (d.h. Bildschirme und Menus) kann man nicht einfach locker aus dem Handgelenk übersetzen. Es gilt, die bei jedem Betriebssystem üblichen Konventionen zu beachten. Unbedingt Fachkraft hinzuziehen.

Sprichwörter 1:

Eine Taube in der Hand ist besser als zwei Spatzen auf dem Dach. –> A bird in hand is better than two in the bush (ein Vogel in der Hand ist besser als zwei im Gebüsch). [ähnliche Aussage, vergleichbare Bildwelt]

Sprichwörter 2:

Zwei Fliegen mit einer Klappe töten. –> Kill two birds with one stone (zwei Vögel mit einem Stein töten). [ähnliche Aussage, andere Bildwelt]

Sprichwörter 3:

Aus einer Mücke einen Elefanten machen. –> Make a mountain out of a molehill (einen Berg aus einem Maulwurfshügel machen). [vergleichbare Aussage, völlig andere Bildwelt]

Telefonnummern:

Aus den USA bin ich unter der Nummer 011 41 44 396 2010 erreichbar. Mit ++41 (0) 44 396 2010 kann der durchschnittliche Amerikaner nichts anfangen. Wer aus England anruft, braucht die Vorwahl 01041. In einigen Jahren wird das alles anders sein... (wenn es nach dem Willen der PTTs geht, wird bald jeder Mensch eine Telefonnummer haben, die überall auf der Welt gilt, selbst wenn der Mensch auf Achse ist).

Titelmanien:

Im Englischen gibt es keine Linksunterzeichneten, i.V., ppa, Handlungsbevollmächtige usw. Es gilt als überheblich, mehrere Titel zu führen (wie Prof. Dr. Dr. h.c.). Akademiker führen ihre Titel praktisch nie. Selbst Angaben wie "lic.iur." oder "dipl.ing. ETH" erscheinen nur in CVs. Daran hält sich übrigens auch das NZZ Folio, wenn es Autoren nennt.

Umlaute:

Die Setzer in England und den USA haben unterdessen auch Umlaute und können Zürich und Düsseldorf und Rüegg richtig schreiben. Die amerikanische Ice-Cream-Firma Häagen-Dazs liefert den schlagenden Beweis dafür. Zurich (frz. Schreibweise in englischen Texten) ist Schnee von gestern. Die Zurich Insurance darf meinetwegen so weitermachen, weil sie 1892 im HR eingetragen wurde.

USA/UK:

In einigen Fachgebieten (z.B. Autos, Elektrotechnik) gibt es in der Terminologie erhebliche Unterschiede, die sich selbst mit "atlantischem Englisch" nicht unter einen Hut bringen lassen. Ein Beispiel: die Motorhaube ist in England "bonnet", in den USA "hood". Ein Amerikaner kann mit "bonnet" nichts anfangen, ein Engländer mit "hood" auch nichts. In der Schweiz weiss wohl auch nicht jeder genau, was ein Geheimrat ist. In Österreich gibt's die jedoch in rauhen Mengen.

Witze:

In den USA weiss kein Mensch, was ein Manta-Fahrer ist. Die Amerikaner kennen auch den Tällebach Kari nicht. Blondinen-Witze gibt's indessen auch drüben, und Österreicher-Witze auch, nur sind es dann die Polen, die dran glauben müssen.

Zahlen:

Die Schreibweise von Zahlen ist im Englischen anders. Es heisst dort nicht "zehnkommavier" sondern "tenpointfour" – entsprechend schreibt man 10.4 statt 10,4 (Prozent, zum Beispiel). Ausserdem werden Tausender mit Kommas getrennt, also 1,000,000 = 1 Million. In Jahresberichten etwa kann man also die Tabellen nicht unbesehen übernehmen.

Die Angabe 1,112 g liest der Engländer und Amerikaner bei nicht zwingendem Kontext als tausendeinhundertzwölf Gramm. Das kann nicht nur beim Herstellen von Bomben verhängnisvoll sein.

Zitate:

Stammt das Originalzitat aus dem Zielsprachenraum (z.B. Shakespeare oder Churchill, wenn ins Englische übersetzt werden soll), so kann das Recherchieren sehr zeitaufwendig sein. Quellenangaben liefern. Der Übersetzer darf Zitate aus anderen Sprachen nach eigenem Gutdünken in die Zielsprache übertragen.